
Wie weit kommt man mit Low-Code, wenn man eine voll funktionstüchtige Plattform entwickeln möchte und das ganz ohne Programmierkenntnisse? Diese Frage haben wir in unserer Seminararbeit untersucht. Statt alles ausschließlich theoretisch zu behandeln, haben wir ein konkretes Geschäftsmodell umgesetzt: Eine spezialisierte C2C-Plattform für gebrauchte Motorradartikel.
Unser Ziel: herausfinden, ob sich ein technisch vollwertiger MVP mit einer modernen Low-Code-Plattform erstellen lässt. Zudem ob das Ganze auch wirtschaftlich und skalierbar ist. Die Ergebnisse waren klarer, als wir erwartet hatten…
Warum ausgerechnet gebrauchte Motorradartikel?
Wir haben uns bewusst gegen eine breite Allround-Plattform entschieden.
Die Nische für gebrauchten Motorradzubehör ist ein Markt mit klar abgrenzbarer Zielgruppe, bestehender Nachfrage und überschaubarer Konkurrenz. Gleichzeitig hat das Modell einen hohen technischen Anspruch: Datenbankstruktur, Nutzerprofile, Inserate, Suche, Bezahlung und Interaktion zwischen den Nutzern.
Ideal, um die Leistungsgrenzen von Low-Code-Plattformen zu testen.
Auswahl der Tools
Nach einem systematischen Vergleich verschiedener Low- und No-Code-Plattformen entschieden wir uns für v0.dev. Das Tool hat uns überzeugt, weil es KI bei der Entwicklung nutzt, sich gut mit anderen Diensten verbinden lässt und problemlos an Datenbanken oder Bezahlsysteme angebunden werden kann.
v0.dev hat uns vor allem durch die einfache Handhabung überzeugt. Normalerweise endet die KI-Unterstützung nach dem ersten Frontend-Entwurf, doch hier konnten wir auch komplexe Backend-Funktionen wie APIs, Datenbanken und Zahlungsdienste direkt über Textprompts integrieren.
Umsetzung: Ein vollständiger MVP mit 9 Stunden Entwicklungszeit
Unsere Plattform „MotoMarkt“ erfüllte alle funktionalen und technischen Erfolgsfaktoren:
- Nutzerregistrierung mit Session-Verwaltung
- Inseratserstellung mit Bilder-Upload
- Such- und Filterfunktionen
- In-App-Chat mit Preisverhandlung
- Simulierter Bezahlvorgang
- Integration einer Supabase-Datenbank

Besonders beeindruckt hat uns die einfache Umsetzung der Preisverhandlungsfunktion im Chat. Mit nur wenigen Eingaben war die Funktion eingebaut und hat sofort weitere Prozesse angestoßen. Der verhandelte Preis wurde automatisch in den Checkout übernommen, Rabatte wurden korrekt berechnet und visuell hervorgehoben dargestellt. Ohne zusätzliche Konfiguration funktionierten damit gleich mehrere zusammenhängende Abläufe reibungslos!
Gesamter Zeitaufwand: 9,33 Stunden.
Bewertung: Effizienz, Skalierbarkeit, Wirtschaftlichkeit
- Effizienz:
Der dokumentierte Entwicklungsaufwand lag bei unter 10 Stunden. Im Vergleich dazu lag der hypothetische Aufwand einer vergleichbaren High-Code-Plattform laut einer COCOMO-II-Studie bei ca. 1.536 Stunden. -> (das ist doch mal eine Ansage, oder? 😉) - Skalierbarkeit:
Kleine Erweiterungen wie zusätzliche Funktionen für Preisverhandlung oder Chat ließen sich mit minimalem Aufwand realisieren. Bei sehr großen Datenmengen oder komplexen Berechtigungssystemen stößt v0.dev jedoch an technische Grenzen. Auch die feste Bindung an die Plattform kann bei langfristigen oder stark wachsenden Projekten zum Nachteil werden. - Wirtschaftlichkeit:
Die jährlichen Gesamtkosten der Low-Code-Umsetzung lagen bei rund 2.756€. Darin enthalten sind Tool-Gebühren, Hosting und ein kalkulierter Entwicklungsaufwand auf Basis von 9,33 Stunden, angesetzt mit einem durchschnittlichen Stundensatz von 22€. Zum Vergleich: Eine High-Code-Umsetzung hätte allein auf Grundlage der geschätzten Personalkosten über 33.000€ gekostet. Infrastruktur und Wartung sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Grenzen von Low-Code in der Praxis
Trotz der hohen Effizienz gibt es technische Beschränkungen:
- Fehlende Kontrolle: Manuelle Korrekturen am Quellcode sind nur mit Programmierkenntnissen möglich.
- Plattformabhängigkeit: Vollständiger Code-Export ist nicht möglich. Die Plattform ist an v0.dev gebunden.
- KI-Missverständnisse: Unklare Prompts führen zu ungewolltem Verhalten oder nicht nachvollziehbaren Fehlern, die nur mit Mühe und Geduld behebbar sind.
Diese Einschränkungen lassen sich teilweise vermeiden bzw. umgehen, vollständig auflösen lassen sie sich aber nicht.
Fazit: Low-Code kann (k)ein Ersatz sein
Unsere Untersuchung zeigt: Low-Code-Tools wie v0.dev sind heute bereits eine ernstzunehmende Alternative für klar umrissene Geschäftsmodelle. Was sich mit wenigen Prompts umsetzen ließ, hat uns selbst überrascht. Von Nutzerprofilen bis zur vollständigen Zahlungsabwicklung, alles ist mittels einem Satz realisierbar.
Plattformen mit besonders hohen Anforderungen an Individualisierung und Skalierbarkeit werden aktuell noch besser mit klassischer High-Code-Entwicklung umgesetzt. Doch wie lange das so bleibt, ist offen, denn die technische Entwicklung schreitet schnell voran.
Low-Code kann vieles – und wird künftig wohl noch mehr können.