Beeinflussen Adblocker den Nachrichtenkonsum?

Auf Nachrichtenseiten werden meist viele Werbeanzeigen platziert, weswegen einige Nutzer*innen Adblocker, auch Werbeblocker genannt, installieren. Könnte es daher sein, dass sich Werbeanzeigen negativ auf den Nachrichtenkonsum auswirken und Publisher sogar von Werbeblockern profitieren? Ob und wie sich Adblocker auf unseren Nachrichtenkonsum auswirken wird in diesem Blogbeitrag beantwortet.


Shunyao Yan, Klaus M. Miller und Bernd Skiera haben sich mit dieser Fragestellung in ihrem wissenschaftlichen Artikel „How Does the Adoption of Ad Blockers Affect News Consumption?“ auseinandergesetzt, welcher 2022 im Journal of Marketing Research veröffentlicht wurde [1, pp. 1002 – 1016]. Im Folgenden wird die Fragestellung „Beeinflussen Adblocker den Nachrichtenkonsum?“ mithilfe ihrer Erkenntnisse beantwortet.


Wie sind die Forscher*innen vorgegangen, um zu zeigen, dass Adblocker den Nachrichtenkonsum beeinflussen?

Yan et al. konnten mithilfe eines Datensets eines „renommierten, europäischen Nachrichtenverlags“ [übersetzt nach 1, p. 1004] ihre formulierten Hypothesen untersuchen [1, p. 1004]. Dafür haben die Autor*innen pseudonymisierte Clickstream-Daten von angemeldeten Nutzer*innen mit den Daten aus der CRM-Datenbank des Verlags kombiniert und analysiert [1, p. 1004]. Insgesamt haben die Forscher*innen Daten von 79.856 eindeutigen Nutzer*innen mit 3,1 Millionen Besuchen analysiert [1, p. 1004]. Der Datensatz umfasst insgesamt 16 Wochen [1, p. 1004]. Die Daten wurden von der zweiten Juniwoche bis zur letzten Septemberwoche 2015 erhoben [1, p. 1004], wobei die benötigten Daten zur Ermittlung der Werbeblocker-Nutzung erst ab Woche 10 zur Verfügung standen [1, p. 1004].


Hypothesen

Um zu untersuchen, ob Adblocker unser Nachrichten-Konsumverhalten beeinflussen, haben Yan et al. mehrere Hypothesen aufgestellt und anschließend belegt [1, pp. 1002 – 1016].

Die Wissenschaftler*innen erwarteten, dass durch die Nutzung von Adblockern und damit dem Wegfall der Werbeanzeigen Nutzer*innen mehr Content konsumieren und mehr mit diesem interagieren [1, p. 1002]. Gemessen wird dies anhand der beiden abhängigen Variablen variety (of news consumption), die Anzahl an Nachrichtenkategorien der angesehenen Artikel, sowie quantity of news consumption, die Anzahl an article views [1, pp. 1006, 1011].

Des Weiteren haben Yan et al. die Hypothese aufgestellt, dass die Nutzung eines Adblockers das Verhalten der Nutzer*innen beeinflusst [1, pp. 1006f.]. Diese Verhaltensbeeinflussung findet vermutlich auf zwei verschiedene Weisen statt [1, pp. 1006f.]. Zum einen wird vermutet, dass Nutzer*innen durch den Wegfall von Ads mehr kognitive Ressourcen zur Verfügung stehen [1, p. 1006]. Diese könnten sich in kurzfristigen Effekten zeigen, beispielsweise in einem Anstieg der Artikelaufrufe je Besuch [1, p. 1006]. Zum anderen könnte die Nutzung von Adblockern laut den Autor*innen Lerneffekte hervorrufen, wie einen Anstieg der wiederholten Besuche sowie eine verstärkte Tendenz, die Website direct aufzurufen [1, pp. 1006f.].


Diskrete Statistik

Bevor die Experimente zur Hypothesenbelegung durchgeführt wurden, haben die Autor*innen die Daten deskriptiv ausgewertet [1, p. 1007f.]. Diese Analyse zeigt vor allem, dass Adblocker den Nachrichtenkonsum in der Quantität und Vielfältigkeit beeinflussen [1, p. 1008]. Yan et al. haben dafür eine Experimentalgruppe, die aus den Werbeblocker-Anwender*innen besteht, und eine Kontrollgruppe, die aus allen Nicht-Anwender*innen besteht, gebildet [1, p. 1007]. Eine Nutzer*in gilt als Werbeblocker-Anwender*in (engl. ad blocker adopter), wenn in den zwei aufeinanderfolgenden Wochen vor der Nutzung kein Adblocker genutzt wurde [1, pp. 1004f.]. Die Nutzung eines Werbeblockers wurde dabei anhand der Anzahl an Page Impressions mit blockierten Ads ermittelt [1, p. 1004]. Folgende Resultate sind bei der deskriptiven Analyse entstanden:

Tabellarische Darstellung aller Ergebnisse der Vorher-Nachher-Analyse der Adblocker-Anwender*innen und Nicht-Anwender*innen [1, p. 1008].
Abbildung 1: Vorher-Nachher-Analyse [basierend auf 1, p. 1008]

In dieser Vorher-Nachher-Analyse ist deutlich zu erkennen, dass Werbeblocker-Anwender*innen mehr Artikel aufrufen und mehr neue Kategorien erkunden [1, pp. 1007f.]. Dies ist in der Spalte Difference-In-Differences (DiD) ersichtlich [1, pp. 1007f.].


Experimente

Um die Hypothesen genauer beleuchten zu können, wurden neben der diskreten Analyse mehrere Experimente durchgeführt [1, pp. 1011-1015], die im Folgenden kurz beschrieben werden.

Störfaktoren

Bevor die Daten analysiert werden konnten, haben die Forscher*innen Störfaktoren kontrolliert und eliminiert, wobei zur Entfernung von beobachtbaren Störfaktoren ein Coarsened Exact Matching (CEM) durchgeführt wurde [1, pp. 1008-1011]. Danach wurde der Differenz-von-Differenzen-Ansatz (DiD) genutzt, um zeitinvariante unbeobachtete Störfaktoren zu eliminieren [1, p. 1008]. Zu guter Letzt wurden die zeitvariablen Störfaktoren mithilfe eines Placebo-Treatment-Tests kontrolliert [1, p. 1008]. Im Rahmen der Experimente wurde das folgende DiD-Modell geschätzt [1, p. 1011].

Geschätztes DiD-Modell, welches zur besseren Verständlichkeit beschriftet wurde [basierend auf 1, p. 1011].
Abbildung 2: Geschätztes DiD-Modell [basierend auf 1, p. 1011]

Experiment 1: Steigt der Nachrichtenkonsum durch die Nutzung von Adblockern im Bezug auf quantity und variety?

Yan et al. haben dies mittels der Experimentalgruppe der Adblocker-Anwender*innen und der Kontrollgruppe der Nicht-Anwender*innen herausfinden können [1, p. 1011]. Insgesamt konnte ein konstant positiver sowie signifikanter Effekt der Adblocker-Nutzung auf die Vielfalt und Menge des Nachrichtenkonsums gezeigt werden [1, p. 1011].

Darstellung der Ergebnisse des ersten Experiments (Effekt von Adblocker auf Nachrichtenkosum) sowie der ausgewählten Experimental- und Kontrollgruppe.
Abbildung 3: Ergebnisse [1, p. 1011] des ersten Experiments [basierend auf 1, pp. 1006, 1012]

Anschließend haben die Autor*innen auch noch die Effekte bei early und late adopters sowie abandoners betrachtet [1, pp. 1005, 1008, 1012f.]. Beide Analysen unterstützen die Hypothese, wobei bei der Betrachtung der abandoners kein signifikanter Effekt auftrat [1, pp. 1011f.].


Experiment 2: Stehen uns dank blockierter Werbung mehr kognitive ressourcen zur verfügung, wodurch wir mehr Artikel je Visit lesen können?

Nachdem die Autor*innen die erste Hypothese belegen konnten, haben sie untersucht, ob Werbeblocker Auswirkungen auf die zur Verfügung stehenden kognitiven Ressourcen der Anwender*innen haben [1, p. 1012]. Die Vermutung von Yan et al. war, dass die erwarteten Veränderungen in der Verfügbarkeit des Arbeitsgedächtnisses zu einer Verhaltensänderung auf der Besuchsebene führen könnten [1, p. 1012]. Die Hypothese konnte nicht vollständig bestätigt werden [1, p. 1012]. Wie in Abbildung 4 zu sehen ist, sind die Effekte nicht besonders groß. Daher ist der Anstieg des Nachrichtenkonsums nicht erheblich auf einen Anstieg der kognitiven Ressourcen zurückzuführen [1, p. 1012].

Darstellung der Ergebnisse des zweiten Experiments.
Abbildung 4: Ergebnisse [1, p. 1012] des zweiten Experiments [basierend auf 1, p. 1013]

Experiment 3: Können Werbeblocker Lerneffekte auslösen?

Schließlich haben die Forscher*innen ihre Hypothese überprüft, ob durch die Werbeblocker-Nutzung Lernmechanismen entstehen könnten [1, pp. 1006f.]. Sie haben erwartet, dass die Werbeblocker-Nutzung die Erfahrung der Anwender*innen mit der Website beeinflusst, was diese User*innen dazu ermutigen könnte, die Website häufiger zu besuchen [1, pp. 1006f.]. Die erwarteten Effekte sind signifikant eingetreten, jedoch ist es laut Yan et al. auf Grundlage der Datenbasis schwierig, diese Effekte von anderen positiven zustandsabhängigen Phänomen, wie der Gewohnheitsbildung, zu unterscheiden [1, p. 1012f.].


Experiment 4: Treatment-Effekte zwischen Nutzer*innen

Abschließend wurden in dem Paper Effekte zwischen den Anwender*innen untersucht [1, pp. 1013 – 1015]. Zum einen wurde die Browser-Nutzung und zum anderen das Involvement betrachtet [1, pp. 1013 – 1015]. Bezüglich der Browser-Nutzung haben Yan et al. untersucht ob es einen Substitutionseffekt gibt, wenn Nutzer*innen mehrere Browser nutzen [1, pp. 1014f.]. Dieser konnte nicht nachgewiesen werden [1, p. 1015]. Im Gegenteil – es konnte gezeigt werden, dass sich sogar für Anwender*innen, die sowohl einen Browser mit als auch einen ohne Werbeblocker nutzen, positive Koeffizienten ergeben [1, pp. 1014f.]. Die positiven Effekte der Adblocker-Nutzung auf den Nachrichtenkonsum lassen sich laut den Autor*innen daher wahrscheinlich auf nicht-adblockierende Browser übertragen [1, p. 1015].


Zeigen sich durch die Experimente Auswirkungen der Adblocker auf den Nachrichtenkonsum?

Ja! Zusammengefasst konnten die Forscher*innen feststellen, dass User*innen, die einen Adblocker verwenden, mehr Artikel lesen und mehr Nachrichtenkategorien anschauen als Nicht-Adblocker-Anwender*innen [1, p. 1015]. Zudem konnten Yan et al. zeigen, dass dieser Effekt bei unerfahreneren Anwender*innen sogar größer ist [1, p. 1015]. Außerdem haben sie festgestellt, dass es Lernmechanismen geben könnte [1, p. 1013]. Hierauf lässt die Datenlage aber keine direkten Rückschlüsse zu, weswegen es weiterer Forschung in diesem Bereich bedarf [1, p. 1013].

Limitationen

Bei der Betrachtung aller Ergebnisse des wissenschaftlichen Artikels müssen jedoch Limitationen berücksichtigt werden. Der Beobachtungszeitraum war sehr kurz [1, p. 1015] und die Ergebnisse beziehen sich nur auf eine einzige Nachrichtenseite [1, p. 1016]. Zudem wurden nur die Daten von registrierten Nutzer*innen erfasst [1, p. 1015]. Yan et al. weisen daher darauf hin, dass die Ergebnisse nicht unbedingt auf andere Nachrichtenseiten anwendbar sind [1, p. 1016] und die Anwender*innen die Nachrichtenseite tendenziell stärker genutzt haben könnten als nichtregistrierte User*innen [1, p. 1015].


Sollten Publisher zukünftig auf Werbeanzeigen verzichten?

Die Autor*innen schlagen vor, eine neue Einnahmequelle zu generieren – ein werbefreies Abonnement-Modell [1, p. 1015]. Folgend ihre Ideen:

Mithilfe dieses Abonnements könnte man Light User zu Heavy Usern entwickeln, wie die Treatment-Effekte zwischen Nutzer*innen zeigen [1, p. 1015]. Publisher könnten zur möglichen Gewinnsteigerung Abonnements und Werbeanzeigen je nach Zielgruppe vermarkten bzw. schalten [1, p. 1015]. Dabei sollte man gegebenenfalls die demographischen Merkmale der User*innen berücksichtigt [1, p. 1015].


Es gibt bereits Publisher, wie die Zeit Online [2], die ein solches beziehungsweise ähnliches Abonnement anbieten. Nachfolgend erfahrt ihr, warum.

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ZEIT ONLINE. (13.12.2022). Pur-Abo. [Online]. Available: https://premium.zeit.de/faq/pur#Pur-Motivation

Ob und wann es viele Publisher geben wird, die komplett werbefreie Abonnements anbieten, wird die Zukunft zeigen.



Quellen

[1] Shunyao Yan, Klaus M. Miller und Bernd Skiera, 2022. How Does the Adoption of Ad Blockers Affect News Consumption?. In: Journal of Marketing Research, 59(5), pp.1002-1018. ISSN 1547-7193

[2] ZEIT ONLINE. (13.12.2022). Pur-Abo. [Online]. Available: https://premium.zeit.de/faq/pur#Pur-Motivation

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