Sterbende Innenstädte

Das Thema „Sterbende Innenstädte“ im Bezug zum Einflussfaktor E-Commerce ist ein, in den Medien, seit Jahren immer wieder diskutiertes Phänomen. Der stationäre Einzelhandel fühlt sich durch den stets stärker wachsenden Online-Handel bedroht. Diese Bedrohung betrifft jedoch nicht nur einzelne Händler, sondern auch die Einzelhandelszentren und Innenstädte, da schwindende Umsätze bei einzelnen Händlern auch eine Bedrohung für diese Standorte darstellen können.

Insbesondere in den Medien wird die Situation für die deutschen Innenstädte oftmals als hoffnungslos dargestellt. [1] Ist eine pauschale Aussage über die Stadtentwicklung überhaupt möglich? Und falls ja, ist die Situation für die Innenstädte und den Einzelhandel tatsächlich so dramatisch?

Gründe für den erstarkenden Online Handel

Für die Entwicklungen der Innenstädte und des stationären Handels gibt es verschiedene Ursachen. Auch diverse Veränderungen in der Gesellschaft sind feststellbar. So hat sich zum Beispiel der Anteil der Internetnutzer von 37 Prozent im Jahr 2001 auf 79 Prozent im Jahr 2016 mehr als verdoppelt. [2] Wie Darstellung 1 zeigt, stieg auch die tägliche durchschnittliche Nutzungsdauer des Internets von 17 auf 149 Minuten in den Jahren 2000 bis 2017. Demnach eine Erhöhung um fast das Neunfache. Eine differenzierte Betrachtung zeigt hierbei auf, dass die 14- bis 29-Jährigen, die Digital Natives, im Mittel täglich 274 Minuten (über 4,5 Stunden) Online sind. Das ist annähernd doppelt so lange wie der Durchschnitt. [3] Bezüglich der personenbezogenen Ursachen sind laut einer Umfrage von STATISTA vor allem die Faktoren Bequemlichkeit und Zeit zu nennen. [4]

Sterbende Innenstädte: Tägliche durchschnittliche Nutzungsdauer des Internets
Darstellung 1: Tägliche durchschnittliche Nutzungsdauer des Internets
(Vgl. Statista: ARD/ZDF Online Studie, 2017)

Die wesentlichen Folgen für Innenstädte

Steigende Umsätze im Online-Handel haben zum Teil gravierende Folgen für die Innenstädte und den stationären Einzelhandel. Diese sind unter anderem:

  • Sinkende Umsätze
  • Geschäftsaufgaben
  • Attraktivitätsverlust
  • Absinken der Mietpreise
  • Verödung

Sinkende Umsätze im stationären Einzelhandel

Im Jahr 2014 betrug der Umsatzanteil des Onlinehandels am Einzelhandels circa 11 Prozent. Bis 2020 soll dieser Anteil auf etwa 20 Prozent steigen. Damit verbunden sind sinkende Umsätze im Einzelhandel, da die Gesamtwachstumsrate des Handels nur etwa 1,5 Prozent beträgt. Die Umsätze verschieben sich also zunehmend in Richtung Onlinehandel. [5]

Geschäftsaufgaben

In 10 bis 15 Jahren wird „jedes zweite Filialunternehmen vom Markt verschwunden sein“ [6]. Allerdings betrifft dieses Massensterben zumindest derzeit eher die Innenstadtlagen in Klein- und Mittelstädten. Toplagen wie etwa Frankfurt, München oder Hamburg werden sogar eher an Bedeutung gewinnen.

Attraktivitätsverlust

Leerstände die aus Geschäftsaufgaben resultieren, schmälern die Attraktivität eines Innenstadt-Standortes ganz erheblich. Dort jedoch, wo noch andere Attraktionen locken, funktioniert der stationäre Handel weiterhin. Wichtiger als das Einzelhandelsangebot für einen Innenstadtbesuch ist oftmals das Ambiente und Flair, das von einer Stadt ausgeht. [7] Auch hier gilt, dass Großstädte und attraktive Lagen sich besser behaupten können als Kleinstädte.

Entwicklung des stationären Handels

Neben den beschriebenen Folgen für die Innenstädte werden nun einige Entwicklungen im Einzelhandel beschrieben. Diese Punkte werden dafür betrachtet:

  • Differenzierung nach Branchen
  • ROPO und Showrooming
  • Umsatzvergleich

Sind alle Branchen gleichermaßen betroffen?

Eine differenzierte Betrachtung nach Branchen ist sehr wichtig, denn Branchen — insbesondere — mit vorwiegend immateriellen Produkten oder Dienstleistungen liegen im direkten Vergleich bezüglich des digitalen Angebots und der Verkäufe im Internet vorne. [8]

Eine Umfrage über die Einkaufspräferenzen bezüglich des interaktiven Handels und des klassischen Einzelhandels für die Jahre 2011 bis 2016 ergab, dass im Bereich des „persönlichen Bedarfs“ (z.B. Bekleidung, Spielwaren und Literatur) der Anteil des Einzelhandels um 7,1 Prozent sank. Für den Bereich der „technisch-orientierten Produkten“ (u.a. Unterhaltungselektronik, Computer und Telekommunikation) gab es dahingegen keinen erwähnenswerten Wandel. Der Anteil des interaktiven Handels ist bereits auf einem hohen Niveau. Im Vergleich dazu hat der Bereich „Wohnen, Freizeit und Do-it-Yourself“ (z.B. Möbel, Heimwerkerbedarf und Gutscheine) zwar den geringsten Kaufanteil bezüglich des Online- und Versandhandels, jedoch beträgt der Zuwachs bei den Befragten, die diesen präferieren, 16,8 Prozent innerhalb dieser Jahre. [9] Dieser Sachverhalt wird durch Darstellung 2 veranschaulicht.

Zusammenfassend ist demnach ersichtlich, dass die aktuellen Präferenzen in Bezug auf den stationären Kauf und den Kauf im Internet stark variieren. Auch die Verschiebung der Präferenzen innerhalb der letzten Jahre fällt in den unterschiedlichen Branchen verschieden aus.

Sterbende Innenstädte: Aggregierte Einkaufspräferenzen nach Produktbereichen
Darstellung 2: Aggregierte Einkaufspräferenzen nach Produktbereichen
(Eigene Darstellung nach bevh; Boniversum: Sommerumfrage 2016, 2016, S. 2)

ROPO und Showrooming

Je nach Studie liegt der Anteil für den ROPO-Effekt bei circa 15 bis 20 Prozent. Im Vergleich dazu macht das Gegenteil, also das Showrooming, weniger als 5 bis 10 Prozent aus. [10] [11]

Für die Geschäfte in der Innenstadt bedeutet dies, dass der Anteil an Käufern, die sich im Vorfeld im Internet informiert haben und im Laden kaufen, höher ist als der stationäre Beratungsdiebstahl.

Umsatzvergleich

Der Umsatz im Online- und Versandhandel in Deutschland ist von circa 50 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf circa 57 Milliarden Euro im Jahr 2016 gestiegen. Von diesen 57 Milliarden Euro generierte allein der Online-Handel in den Bereichen Bekleidung, Elektronikartikel und Telekommunikation circa 20 Milliarden Euro. Der Einzelhandel steigerte seinen Umsatz von circa 458 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf circa 482 Milliarden Euro im Jahr 2016. Demnach verzeichnet der interaktive Handel einen Anteilszuwachs von 1,6 Prozentpunkten auf 12,7 Prozent innerhalb dieses Zeitraumes. [12]

Es ist ersichtlich, dass der Handel im Internet dem stationären Handel innerhalb dieser drei Jahre keine starken Umsatzeinbußen herbeigeführt hat.

Stärken von Innenstädten

Innenstädte stehen vor der Herausforderung ihre Stärken gegenüber dem Online-Handel herauszuarbeiten. Diese finden sich speziell in den Bereichen:

  • Soziale Aspekte und Freizeitgestaltung
  • Allgemeine Vorteile des Einzelhandels
  • Events

Der Freizeitaspekt und das gemeinsame Erlebnis „Innenstadtbesuch“ ist wohl die größte Stärke und Differenzierungsmöglichkeit gegenüber dem Online-Handel. Innenstädte können sich über Events vermarkten und ihre architektonischen Highlights hervorheben. [13]

Aber auch die allgemeinen Vorteile des stationären Handels, wie z.B. die haptische Prüfbarkeit von Produkten, spielt eine wichtige Rolle und kann zur Abgrenzung gegenüber dem Online-Handel verwendet werden. [14]

Zwar sind Events und Feste keine neuen Erfindungen, die als Allheilmittel gegen den zunehmenden Druck des E-Commerce verwendet werden können, allerdings muss sich das Stadtmarketing auf die spezifischen Stärken ihrer jeweiligen Situation konzentrieren und versuchen loyale Kunden zu schaffen und die Innenstadt methodisch zu vermarkten.

Gegenmaßnahmen der Innenstädte

Der Pressemitteilung zur Studie „Stadt, Land, Handel 2020“ des IFH Köln zufolge, könnte bis 2020 fast jedes zehnte Ladengeschäft beziehungsweise 45.000 stationäre Geschäfte von einer Schließung bedroht sein. Dabei seien alle Regionen betroffen. Zudem könne der Einzelhandelsumsatz in einzelnen Landkreisen bis zu 27 Prozent sinken. [15]

Einige mögliche stätische Gegenmaßnahmen wären daher [16] :

  • Umsetzung einer guten Baukultur (bzw. Plätze mit schönem Ambiente)
  • Sicherheit und Sauberkeit
  • Schaffung von zentrumsnahen Parkmöglichkeiten und guter ÖPNV-Anbindung
  • kostenfreies WLAN

Zudem können Städte eine Online-Präsenz der ansässigen Einzelhändler organisieren und damit ein gemeinsames Auftreten auf z.B. Atalanda oder einer „eBay City“ ermöglichen.

Des Weiteren wären Beispiele für Maßnahmen des Einzelhandels [17]:

  • Erweiterung des Geschäfts in Bezug zu Multichannel, Crosschannel und Omnichannel
  • Reduzierung der Warteschlangen mit Selbstbedienungskassen
  • Nutzung von standortbezogene Dienste (Location Based Services)

Sterbende Innenstädte? Jein.

Die Innenstädte befinden sich derzeit in einer schwierigen Lage. Der Online-Handel ist am Erstarken und wächst prozentual stärker als der Handel insgesamt. Daher entzieht der Online-Handel dem stationären Handel immer mehr Umsatzanteile. Diese Entwicklung klingt auf den ersten Blick für den Einzelhandel im Allgemeinen sehr besorgniserregend, allerdings kann eine solche Aussage nicht pauschal auf alle Branchen und Regionen bezogen werden.

Zudem wird oft vergessen, dass der Anteil des Online-Handels am Handel derzeit insgesamt nur circa 13 Prozent beträgt. Auf der anderen Seite werden 87 Prozent aller Käufe im stationären Handel getätigt. Von einer allgemeinen Krise kann also kaum die Rede sein. Des Weiteren ist die Entwicklung regional sehr unterschiedlich und nicht jede Innenstadt wird den Strukturwandel im Handel überleben.

 

 


[1] Vgl. Google Suche (2017): Sterbenden Innenstädte. Online verfügbar unter https://www.google.de/search?q=sterbende+innenst%C3%A4dte&oq=sterbende+&aqs=chrome.1.69i57j69i59j69i60j69i59j69i60l2.3743j0j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8, zuletzt geprüft am 25.11.2017.

[2] Vgl. Müller, Lena-Sophie; Stecher, Björn; et al. (2016): 2016 D21-DIGITAL-INDEX. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft. Hg. v. Initiative D21 e.V. Online verfügbar unter http://initiatived21.de/app/uploads/2017/01/studie-d21-digital-index-2016.pdf, zuletzt geprüft am 21.10.017.

[3] Vgl. Statista (Hg.) (2017): ARD/ZDF-Onlinestudie. Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1388/umfrage/taegliche-nutzung-des-internets-in-minuten/, zuletzt aktualisiert am 11.10.2017, zuletzt geprüft am 28.10.2017.

[4] Vgl. Statista (Hg.) (2009): Online-Shopping. Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5204/umfrage/wichtigste-gruende-fuer-einkauf-im-internet/, zuletzt aktualisiert am 01.03.2009, zuletzt geprüft am 28.10.2017.

[5] Vgl. Manke, Kay (2015): Strukturwandel im deutschen Einzelhandel. Online verfügbar unter https://www.bdu.de/media/32083/manke-studie-8.pdf zuletzt geprüft am 03.11.2017.

[6] Gassmann, Michael (2017): Dem deutschen Einzelhandel droht ein Massensterben. Konkurrenz durch Online. Online verfügbar unter https://www.welt.de/wirtschaft/article161812481/Dem-deutschen-Einzelhandel-droht-ein-Massensterben.html, zuletzt geprüft am 02.11.2017.

[7] Vgl. Trendwelten.eu (2017): Retail Report 2017. Zukunft der Innenstadt. Online verfügbar unter https://www.trendwelten.eu/themen-trends.html?topic_id=171, zuletzt geprüft am 09.11.2017.

[8] Vgl. Facit Digital; Serviceplan Consulting Group (Hg.) (2016): Omnishopper 2017. Die Psychlogie des vernetzten Konsumenten. Online verfügbar unter https://www.facit-group.com/studien/omnishopper/, zuletzt geprüft am 25.10.2017.

[9] Vgl. bevh; Boniversum (Hg.) (2016): Sommer-Umfrage 2016. Einkaufspräferenzen im Online- und Versandhandel sowie im klassischen Einzelhandel. Online verfügbar unter https://www.boniversum.de/wp-content/uploads/2016/07/Einkaufspraeferenzen-im-Online-und-Versandhandel_2016.pdf, zuletzt aktualisiert am 25.10.2016, zuletzt geprüft am 28.10.2017.

[10] Vgl. Facit Digital; Serviceplan Consulting Group (Hg.) (2016): Omnishopper 2017. Die Psychlogie des vernetzten Konsumenten. Online verfügbar unter https://www.facit-group.com/studien/omnishopper/, zuletzt geprüft am 25.10.2017.

[11] Vgl. Google (Hg.) (2015): Consumer Barometer with Google. Did people research or purchase their product online or offline? Online verfügbar unter https://www.consumerbarometer.com/en/graph-builder/?question=N11&filter=country:germany&hidden=0,1, zuletzt aktualisiert am 31.12.2015, zuletzt geprüft am 30.10.2017.

[12] Vgl. bevh (2017): Interaktiver Handel in Deutschland 2016. Die Entwicklung des Online- und Versandhandels B2C. Unter Mitarbeit von Friedemann Weber. Online verfügbar unter https://www.bevh.org/uploads/media/Presse_final_bevh-Pressegespra%CC%88ch2017_Pra%CC%88sentation.pdf, zuletzt geprüft am 28.10.2017.

[13] Vgl. Hamburg.de (2017): Shopping-Metropole im Norden. Shopping in der Hamburger City. Online verfügbar unter http://www.hamburg.de/shopping-in-der-city/4618662/shopping-in-der-city/, zuletzt geprüft am 22.10.2017.

[14] Vgl. Montag, Thorsten (2017): Die Vorteile des Einzelhandels. Online verfügbar unter https://www.gruenderlexikon.de/magazin/die-vorteile-des-einzelhandels-1459, zuletzt geprüft am 28.10.2017.

[15] Vgl. IFH Köln (2015): Fast jedes zehnte Ladengeschäft von Schließung bedroht – alle Regionen betroffen. Online verfügbar unter https://www.ifhkoeln.de/pressemitteilungen/details/fast-jedes-zehnte-ladengeschaeft-von-schliessung-bedroht-alle-regionen-betroffen/, zuletzt aktualisiert am 11.08.2015, zuletzt geprüft am 09.11.2017.

[16] Vgl. Portz, Norbert (o.J.): Die Mitte stärken: Innenstädte und Ortskerne beleben. Hg. v. DStGB. Online verfügbar unter https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Schwerpunkte/Städtebau/Stadtentwicklung/EU-Mitteilung%20zur%20Neuregelung%20des%20grenzüberschreitenden%20Online-Handels/Innenstädte%20und%20Ortskerne%20stärken%20-%20Die%20Mitte%20beleben.pdf, zuletzt geprüft am 05.11.2017.

[17] Vgl. Honsel, Gregor (2016): Tote Innenstädte. Hg. v. heise.de. Online verfügbar unter https://www.heise.de/tr/artikel/Tote-Innenstaedte-3052344.html, zuletzt aktualisiert am 15.02.2016, zuletzt geprüft am 06.11.2017.

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